Rechtlicher Hintergrund

Rechtsgrundlage für das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit

Constantin Jacob, Leiter Recht & Regulierung und Verbandsjustitiar im Customer Service & Call Center Verband Deutschland e. V. (CCV)

Gemäß § 9 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist die Sonn- und Feiertagsarbeit in Deutschland verboten. Verfassungsrechtlichen Schutz genießen Sonn- und Feiertage durch Art. 140 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV, aus dem Jahr 1919). Dies erschwert den Erlass von Ausnahmeregelungen. §§ 10 und 13 ArbZG enthalten solche Ausnahmen.

Ausnahmen vom Verbot

§ 10 ArbZG listet zahlreiche Arbeiten auf. Umfasst sind beispielsweise Not- sowie Rettungsdienste, Energieversorger, Gastronomie und Pflege.

Zudem enthält § 13 ArbZG eine Verordnungsermächtigung, um weitere Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit zuzulassen. Verordnungen sind im Gegensatz zu Bundes- und Landesgesetzen („formelle Gesetze“) „Gesetze im materiellen Sinne“, da deren Urheber die Exekutive ist und sie nicht einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren (dem Rechtssetzungsmonopol des Parlaments) folgen. Die Anforderungen an Verordnungen sind entsprechend streng.

Für Ausnahmen kraft Verordnung nach § 13 ArbZG ist der Bund zuständig. Das gilt jedoch nicht für solche, die den besonders hervortretenden Bedürfnissen der Bevölkerung dienen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2 ArbZG). Hier können auch die Bundesländer entsprechende Verordnungen erlassen, wenn der Bund diese Ermächtigung nicht wahrnimmt. Niedersachsen machte 1990 den Anfang, indem es eine „Bedarfsgewerbeverordnung“ erließ. Bis auf Sachsen, hier werden Einzelfallentscheidungen getroffen, folgten nach und nach alle Bundesländer und erließen praktisch wortgleiche Verordnungen, nach denen auch Call- und Contactcenter vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit ausgenommen sind.

Bedarfsgewerbeverordnung des Landes Hessen

Als letztes Bundesland erließ Hessen 2011 solch eine Bedarfsgewerbeverordnung. Während sich parallel zu den zuvor ergangenen Verordnungen noch kein organisierter Widerstand bildete, diese wegen Ablaufs der Klagefrist folglich später nicht mehr angreifbar waren, gestaltete sich das in Hessen anders. Hier konnten ver.di und zwei (kirchliche) Initiativen einen Normenkontrollantrag stellen und obsiegten vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, einem Oberverwaltungsgericht. Das Land Hessen ging in Revision – und verlor.

Das BVerwG-Urteil 2014 und dessen Konsequenzen

Denn im November 2014 erklärte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die hessische Bedarfsgewerbeverordnung für teilweise unwirksam (AZ: 6 CN 1.13). Folge ist ein bis heute bestehendes Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit in hessischen Call- und Contactcentern, soweit keine Ausnahme des § 10 ArbZG greift. In den übrigen Bundesländern (außer Sachsen, hier werden Genehmigungen im Einzelfall erteilt, wobei seit einem Urteil des BVerwG im Mai 2020 die Landeskirche in Verwaltungsverfahren zu beteiligen ist) bestehen die Bedarfsgewerbeverordnungen mit den entsprechenden Ausnahmetatbeständen weiter und wurden von den Ländern seit dem BVerwG-Urteil nicht geändert, um – wie bereits beschrieben – zu vermeiden, dass Kritiker der Sonn- und Feiertagsarbeit klagebefugt sind. Denn alle Bedarfsgewerbeverordnungen, die auf Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2a ArbZG erlassen wurden, verstoßen seit November 2014 vermutlich gegen die durch das BVerwG festgestellte Rechtslage, sind jedoch aktuell wegen Ablaufs der Klagefrist nicht angreifbar. Dies ändert sich, wenn ein Bundesland seine Bedarfsgewerbeverordnung novelliert. Gegen diese kann dann ein Normkontrollantrag erfolgen. Ein unhaltbarer Zustand. Das bewerteten auch Bund sowie Länder derart. Zwar ist eine neue Verordnung auf Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2a ArbZG kaum mehr möglich. Allerdings kann nach § 13 Abs. 1 Nr. 2c ArbZG durch den Bund auch eine Ausnahme vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit zur Sicherung der Beschäftigung erfolgen.

Aktivitäten des CCV

Der CCV und das von ihm initiierte „Bündnis für Kundenservice an Sonn- und Feiertagen“ erreichten einen Erlass zur Prüfung solch einer bundesrechtlichen Ausnahmeregelung. Auf dieser Grundlage sollte der Bund eine „Gemeinwohlverordnung“ beschließen, um Call- und Contactcentern rechtssicher die Sonn- und Feiertagsarbeit zu ermöglichen. Gestützt wird dies auch durch ein vom CCV in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten eines der prominentesten deutschen Verfassungsrechtler, Prof. Dr. Christoph Degenhart. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) plante hierzu ein Forschungsvorhaben, das ermitteln sollte, wie viele Arbeitsplätze in deutschen Call- und Contactcentern von einem bundesweiten Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit betroffen wären, um eine Ausnahme zur Sicherung der Beschäftigung (§ 13 Abs. 1 Nr. 2c ArbZG) gerichtsfest zu begründen. Zur Prüfung, ob das Forschungsvorhaben möglich ist, wurde zunächst eine Machbarkeitsstudie erstellt, an der sich auch der CCV mit seiner Expertise beteiligte. Sie wurde im Sommer 2017 fertiggestellt und dem CCV im November 2017 übermittelt. Der Studie zufolge ist es schwer, valide Zahlen zur Betroffenheit zu erheben.

Am 16. November 2017 wurden der CCV und weitere Verbände sowie Unternehmen im Rahmen eines BMAS-Termins informiert. Das BMAS sieht mit Blick auf die Studie keine Grundlage für eine bundesweite Gemeinwohlverordnung. Es sei aufgrund der Schwierigkeit einer Erhebung valider Zahlen nicht möglich, gerichtsfest auf Verordnungsebene Ausnahmen zuzulassen.

Die Folge ist für die Call- und Contactcenter-Betreiber in allen Bundesländern mit Ausnahme Hessens und Sachsens eine weiterhin bestehende Rechtsunsicherheit und die Gefährdung des Servicestandorts Deutschland inklusive vieler Arbeitsplätze.

Weitere Entwicklung

Am 6. und 7. Dezember 2017 tagte die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) in Potsdam. Im Vorfeld kontaktierte der CCV die Arbeits- und Sozialminister sowie -senatoren  der Bundesländer und wies argumentativ ein weiteres Mal auf die Notwendigkeit der Sonn- und Feiertagsarbeit in der Call- und Contactcenter-Branche hin. Im Rahmen der ASMK wurden die Minister lediglich von Seiten des BMAS informiert, Beschlüsse zu diesem Thema fasste das Gremium hingegen nicht. Auch im Rahmen der ASMK am 5. und 6. Dezember 2018 in Nordrhein-Westfalen und der ASMK am 27. und 28. November 2019 in Mecklenburg-Vorpommern wurden keine entsprechenden Entscheidungen getroffen.

Das BVerwG entschied am 6. Mai 2020, dass die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen an Verwaltungsverfahren zur Bewilligung von Sonntagsarbeit in Callcentern zu beteiligen ist.

In einem Urteil vom 27. April 2023 (Az. 4 K 311/22) betonte das Verwaltungsgericht (VG) Berlin (ausführliche Pressemittelung) die Bedeutung der Sonn- und Feiertagsruhe. Es entschied, dass ein Online-Möbelhänder (Klägerin), der seine Produkte ausschließlich im Internet anbietet, Mitarbeiter des eigenen Kundendienstes in Deutschland an Sonn- und Feiertagen nicht beschäftigen darf. Das Gericht untersagte, die Beschäftigung an diesen Tagen von Deutschland aus zu besetzen. Die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung lägen nicht vor, da die Klägerin die gesetzlich zulässigen Betriebszeiten nicht weitgehend ausnutze; das sei aber Voraussetzung für die Ausnahmebewilligung. Das Unternehmen besetzt den Kundendienst an Sonn- und Feiertagen derzeit mit deutschsprachigen Mitarbeitern in Polen und Irland. Der Antrag der Klägerin, ihr ausnahmsweise Sonn- und Feiertagsarbeit für bis zu 14 Beschäftigte im Kundenservice im Homeoffice in Sachsen zu bewilligen, lehnte das hierfür zuständige Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit ab – und bekam nun vor dem VG Recht. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) kenne zwar Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen. Voraussetzung ist aber, dass die Konkurrenzfähigkeit eines Betriebes nur durch die Bewilligung von Sonn- und Feiertagsbeschäftigung gesichert wäre und der Betrieb die gesetzlich zulässigen Betriebszeiten unter der Woche ausreichend ausnutze. Das Gericht verwies darauf, dass grundsätzlich 144 Stunden Betriebszeit pro Woche möglich seien. Unternehmen können ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also auch in Nacht- und Randstunden arbeiten lassen. Der Möbelhändler jedoch nutze nur 90 Stunden wöchentliche Betriebszeit. Dies begründete das Unternehmen damit, dass ein Kundendienst in der Nacht aufgrund der fehlenden Nachfrage wenig Sinn ergebe. Es sehe die eigene Wettbewerbsfähigkeit gefährdet, sollte es am Sonntag keine Kundenauskünfte geben können. Seine Kunden seien es gewohnt, den Kundenservice auch sonntags zu erreichen. Sei dies nicht mehr der Fall, würden die Kunden zu marktbegleitenden Unternehmen abwandern. Das VG folgte dieser Argumentation nicht. Es sei „ohne Weiteres zumutbar, telefonische Auskünfte nur an Werktagen zu erteilen, zumal ihre Kunden Käufe durchgehend tätigen können“, teilte das Gericht mit. Der Wortlaut des ArbZG sei eindeutig. Die Bestimmung des Arbeitszeitgesetzes sei Ausprägung des verfassungsrechtlich verankerten Schutzes der Sonn- und Feiertagsruhe. Ausnahmen hiervon seien nur in besonderen Fällen gestattet.

Rechtssicherheit für deutsche Call- und Contactcenter kann nunmehr in erster Linie durch eine Änderung des § 10 ArbZG erreicht werden. Hierzu ist der entsprechende politische Wille notwendig. Der CCV wird sich – wie bereits in den letzten mehr als drei Jahren – einsetzen.

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Stand: 6. Juni 2023